Orte der unbefleckten Begrüßung

von einbecker

Dies ist ein Beitrag, der so schon im mindestenshaltbar 0202 erschienen ist. Der Vollständigkeit halber nun auch hier.

…Und täglich grüßt das Murmeltier, sprach Bill Murray und verlor sich in der der Übersetzung. Aber nicht nur das: Millionen Deutsche grüßen ihnen völlig unbekannte Personen, nur weil sie zufälligerweise dieselben Koordinaten teilen. An bestimmten Orten ist es jedoch besonders schlimm: Die Top 5 Orte, an denen auch Fremde gegrüßt werden.

Nichts ist künstlicher, als wenn sich ein Mensch anders verhält, als er das normalerweise tun würde. Die Quintessenz dieser Verhaltensform ist das Grüßen von fremden Personen, das nirgendwo sonst so exzessiv wie in Deutschland betrieben wird. Die Top 5:

  • 5. Nachbarn

    Seit über drei Jahren wohne ich nun schon in Dresden und feiere dort in meiner Wohngemeinschaft auch gerne Feiern — sagen wir zwei Stück pro Jahr. Selbstverständlich hänge ich jedes Mal einen Zettel an die Haustür, der alle Bewohner unseres Hauses zu unserer Feier aufs herzlichste einlädt. Ganze zwei habe ich in dieser Zeit kennengelernt. Die anderen, die also eher durch meine Feiern, ja vielleicht sogar meinen Lebenswandel (denn ich habe ja noch einen) gestört werden, bleiben dem ganzen lieber fern. Wieso grüße ich sie also?

  • 4. Wald

    Wenn die ersten Sonnenstrahlen seit längerer Zeit an einem Wochenende herauskommen, muss man sich nur die Spazierwege im Wald angucken, um einen Querschnitt durch die Bevölkerung zu sehen. Dort wandert der alternative ?ñkologiestudent genauso wie der konservative Bauamtsleiter, die Tokio-Hotel-Fans ebenso wie der Damen-Kegelclub Eberswalde. Und diese Leute, deren größter gemeinsamer Teiler der Sonntagnachmittag im Wald ist (und der Tatort am Abend. Aber das ist eine andere Geschichte.) und die sich rein gar nichts zu sagen haben, sagen sich doch etwas: “Tag!”, “Hallo!” oder auch “Grüß Gott!” schallt es durch den Wald.

  • 3. Urlaub

    Kaum ist die harte Arbeit ein paar hundert Kilometer im Rückspiegel verschwunden, der Alltag weit weg und man hat endlich seine Ruhe, wird selbige sofort wieder durch die Suche neuer Freunde zerstört. Egal ob im Ferienclub an der türkischen Riviera, der Campingplatz an der Ostsee oder im City-Hotel Paris: Sobald jemand als Deutscher erkannt wurde, wird hemmungslos gegrüßt, bis man zumindest ein Pilsbier zusammen getrunken hat. Lustig werden solche Begegnungen übrigens, wenn sich die vermeintlich Deutschen in Wirklichkeit als Holländer entpuppen.

  • 2. Frisör/ Arzt

    Dienstleistungen am eigenen Körper sind den meisten Deutschen ja eigentlich ein Graus. Sie versuchen dies also mit einem Redefluss in Richtung Dienstleister und einer hölzernen Leichtigkeit zu überspielen, was dann zu den komischen Situationen führt, die sich täglich in den Wartezimmern dieser Nation abspielen. Ganz besonders ausgeprägt sind dabei Gespräche über die fremde Frisur/ den fremden Gesundheitszustand, die eigentlich nur dazu dienen, das eigene Pendant zu präsentieren.

  • 1. Aufzug

    Kommen wir zum Höhepunkt der heuchlerischen Begrüßung, welchen zweifelsfrei der neudeutsch „Lift“ genannte Aufzug bildet. Der Wohlfühlradius der mitfahrenden Personen ist überschritten, sobald deren Anzahl eins übersteigt, und um über diesen Lapsus hinweg zu kommen, also den inneren Radius betreten zu dürfen, macht man sich eben schnell bekannt. Manche meinen, das diene zur Überbrückung von Peinlichkeiten wie dem Transport der Bildzeitung, starken körperlichen Ausdünstungen oder aber, siehe 5., der Feier vom Vortag mit Karaokeeinlagen. “Reine Vorsichtsmaßnahme”, sagen die anderen. Schließlich will man nicht stecken bleiben, wenn man die anderen Mitfahrer nicht kennt. Aber wer will schon im Aufzug stecken bleiben?

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