Heute vor 20 Jahren

von einbecker

…spaltete der Scheibenwischer die Republik: Dieter Hildebrands politisches Kabarett zum Thema Tschernobyl wurde vom Bayerischen Rundfunk nicht ausgestrahlt. »Der Unterschied zwischen Bayern und der DDR ist, dass man den Scheibenwischer in der DDR sehen kann«, titelte die Münchner Abendzeitung. Fünf Gründe, warum politische Kritik und Humor dringend wieder stärker vereint werden müssen:

  • 5. Deutsche Comedy ist nicht lustig.

    Deutsche Comedy ist, ein T-Shirt mit der eigenen Webadresse zu tragen. Deutsche Comedy ist, so stark mit seinem einen (!) Charakter zu verwachsen, dass man sich selbst nicht mehr erkennt. Deutsche Comedy ist, sich eine Perücke aufzusetzen und denken, das reicht. Deutsche Comedy ist, dauergrinsend Gummibären an B- und C-Promis zu verteilen. Deutsche Comedy ist, vor allem, Realsatire ihrer selbst.

  • 4. Fernsehen und Radio sind nicht tot.

    Aber sie riechen schon sehr, sehr streng. Wenn wir nicht aufpassen, dann verrotten sie, während wir noch im Sumpf der Superhits der 80er und 90er und dem Besten von heute stecken. Dass man den sonntäglichen Tatort einmal als Leuchtturm der deutschen Fernsehunterhaltung versteht, wird Hildebrand wohl nur zu einem Kopfschütteln verleiten. Ach so, wir haben ja Alibi-TV (ich weiß bis heute nicht, wofür R, T und E stehen). Dann ist ja gut.

  • 3. The Times They Are A-Changing.

    Die Welt verändert sich. Die wirtschaftliche Weltmacht heißt bald nicht mehr the land of the free sondern the land of the teracotta warriors. Terroristen lassen Häuser einstürzen, Regierungen das Rechtsstaatsprinzip, Sozialmodelle und Verhandlungen über Menschenrechte oder Naturschutz. Die Schere zwischen unten und oben klafft immer weiter auseinander. Und MC Winkel moderiert immer noch nicht Wetten, dassö?.

  • 2. Je politischer die Zeit, desto bissiger die Satire.

    War zumindest mal so. Korea, Vietnam, Natodoppelbeschluss, Volkszählung, Tschernobyl — die Leute waren auf der Straße. Und die Satire bissig (bis zum Verbot, siehe oben). Aber heute, wo sich (siehe 3.) die politische Weltordnung grade zu einer Karrikatur der »freien Welt« verschiebt, da bleibt die Straße leer (ist ja schließlich WM) und die Satire außen vor. Es gibt ja schließlich noch den 12.000en Scherz über das männliche Genital zu machen, ohne dabei über die Gürtellinie zu kommen.

  • 1. Harald Schmidt ist nicht John Stewart.

    So verehrenswert und wichtig Harald Schmidt ist: Wer sich fünf Minuten Daily Show anguckt, weiß, was im deutschen Fernsehen fehlt. Bei iTunes übrigens für $1.99 je Sendung. Und manchmal überlegt man, ob man nicht sogar bereit ist, das zu bezahlen.

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4 Kommentare

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  • Stefan am 22.05.2006  #1

    Schöne, wenngleich irgendwie traurige Top 5. Allerdings muss es unter 4. natürlich heißen “Dass man den sonntäglichen Tatort …” und nicht “Das…”. Viele Grüße Stefan

  • Tim am 22.05.2006  #2

    Die Daily Show läuft doch auch auf CNN International?

  • einbecker (Autor) am 22.05.2006  #3

    Danke Stefan — ja, sehr richtig. Wurde korrigiert.

    Tim: Ohne Fernseher kein CNN International.

  • Tim am 23.05.2006  #4

    Das Problem kenne ich ;)

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