Wenn einer einen Umzug tut

von JC Niemeyer

Fünf Umzugsnotizen:

  • 5. Improvisieren

    In Medizinerkreisen heißt es, wer als Arzt im Laufe seines Berufslebens nicht mindestens einen Kunstfehlerprozess am Hals hatte, habe nicht ernsthaft praktiziert. Ähnliches gilt auch im Hand°werk, die alte Hobel-Späne-Geschichte. Schon vor Jahren verriet mir ein Autoschlosser, dass ein Minimum an Pfusch unvermeidbar sei („Wer noch nie gepfuscht hat, hat noch nie richtig gearbeitet.“). Recht hat er. Selbst das Verkaufspersonal im Baumarkt leistet seinen Beitrag: Nachdem ich klargemacht hatte, dass Zeit, Lust und Talent für fachmännisch korrekte Schönheitsreparaturen fehlen, erklärte mir ein Mitarbeiter schweren Herzens, aber erstaunlich fachkundig, wie ich am besten vorgehen sollte, um die gravierendsten Mängel der an den Vermieter zu übergebenden Wohnung „schnell und schmutzig“ zu beseitigen. Hat bestens geklappt.
    Wenn man den Pfusch als Improvisation bezeichnet, ist gleich auch der negative Beigeschmack verschwunden. Improvisationstalent war natürlich auch in der neuen Wohnung gefragt: Obwohl zahlreiche andere Möbel noch der Montage harrten, gab das Bett, das zuvor lediglich ächzte wie eine angehende Ex-Katze, seinen Geist auf und brach in sich zusammen. Nur der Improvisation und dem Akkuschrauber, den Gott glücklicherweise am achten oder neunten Tag schuf, ist es zu verdanken, dass das Teil binnen einer Drittelstunde wieder auf eigenen Beinen stand.

  • 4. Berg- und Talfahrt

    Mit diesem Berg tut sich der Umzugslaster aber ganz schön schwer, dachte ich während des Möbeltransports. Erstaunlich auch, dass der 7,5-Tonner bergauf performte wie Michael Rasmussen in den Pyrenäen, bergab jedoch wie Erik Zabel mit angezogener Bremse. Dass sich diese Probleme mitten in der Nacht einstellten, machte sie nicht gerade angenehmer. Glücklicherweise lag eine Tankstelle in Rollweite. Wir hatten es mit einem Best Case Scenario zu tun, nach einem ordentlichen Schluck Diesel war der Wagen wieder flott. Offenbar war der nur noch achtelvolle Tank einfach nicht für übermäßige Berg- und Talfahrten konstruiert. Hätte man mir ruhig vorher sagen können.

  • 3. LIFO live

    Die Informatiker nennen das Prinzip abgekürzt LIFO: Last in, first out, anders kriegt man seinen Kram aus dem Umzugslaster nicht heraus. Wie schön, das mal live, in Farbe und mit anschließendem Muskelkater erleben zu dürfen. Angeblich funktionieren viele Dinge des täglichen Lebens auch nach dem LIFO-Prinzip, Fahrstühle mit nur einer Tür etwa. Leider hat sich das noch nicht bis zu allen Liftbenutzern herumgesprochen. Vor allem technophobe Frauenspersonen neigen dazu, im Fahrstuhl für sich das FIFO-Prinzip zu beanspruchen ‚Äì auch wenn alle Leute in der gleichen Etage aussteigen. Aber das ist ein anderes Thema.

  • 2. Eine Alternative zum Fernsehprogramm sein

    Es ist beruhigend zu wissen, dass die Leute nicht den ganzen Tag vor der Glotze hängen und verblöden. Sobald es draußen was zu gucken gibt, sind jedenfalls alle Balkone besetzt. Schon das morgendliche Umsetzen der Falschparker im Umzugs-Halteverbot vor der alten Wohnung war ein regelrechter Publikumsmagnet. Der wahre Höhepunkt trug sich jedoch erst in der Nacht zu: Das sensationelle nächtliche Rückwärtseinparken eines Mercedes Atego 815 mit gefühlten 20 Metern Radstand (tatsächlich sind es nur 6,30 Meter) erregte vermutlich mehr Aufsehen als die regelmäßig stattfindende Stuntshow auf dem Supermarktparkplatz in den Nachbarschaft. Besonderer Kitzel: Der Steuermann fährt normalerweise ein Auto, das in dem Umzugslaster Platz hätte. An der Einfahrt ist zudem ein Schild angebracht, auf dem steht „Optimiert für VW Käfer“.

  • 1. Unkenntnis

    An einem der ersten Tage in der neuen Wohnung stand ich auf dem Balkon. Eine ältere Dame war auf dem in Sichtweite verlaufenden Gehsteig unterwegs, hielt aber plötzlich inne und rief mir irritiert zu: „Ich kenne Sie nicht!“ Was nun, dachte ich bei mir. Sollte ich ihr verbal den digitus impudicus zeigen und „Ich Sie auch nicht.“ antworten? Nein, ich bin ja feige nett. „Guten Tag, ich bin Herr Niemeyer.“ Das war ihr offenbar genehm. Ihr Reaktion war jedenfalls ein erleichtertes: „Ach, Du bist‘s. Dann ist ja gut!“

Kommentar hinterlassen