Astra

von einbecker

  • 5. Der Tresen

    Es war schon sehr merkwürdig, dass sie sich in Hamburg trafen, schließlich wohnten sie ja beide in Berlin. Andererseits hätte dann ihre Kennenlernnummer nicht funktioniert: »Ein Bier bitte!« hatte er gesagt, woraufhin sie (von links kommend) ein »Hier in Hamburg trinkt man kein Bier, sondern Astra!« entgegnete, um es gleich noch mit einem »zwei« in Richtung gelangweilter Bedienung zu komplettieren. Jetzt erst nahm er das Mädchen wahr, dass sich soeben auf seine Kosten um ein Bier, nein, Astra, bereichert hatte. Zierlich, ungefähr sein Alter. »Es ist schon merkwürdig,« sagte er, während er seinen Blick auf ihren Körper streifen ließ, »man gibt wirklich jedem, der fragt, eine Kippe. Egal ob Punk oder Bänker, ich zünde sie ihnen sogar an. Aber bei Essen oder Trinken, da kuck ich sogar Freunde schief an, wenn sie nen Schluck nehmen wollen.« — »Und wieso bezahlst Du mir dann grade das Bier?« »Astra« korrigierte er, »Und um Deine Frage zu beantworten: Wir werden sehen.«

  • 4. Ihre Geschichte

    Es war lange her, dass sie mit einem Mann gesprochen hatte. Zumindest, wenn man den Verkäufer aus dem Bioladen nicht zählt. Oder die Freunde ihrer Freundinnen, die sie allerdings auch nur noch daher kannte, dass sie, wenn sie zu Besuch war, sogleich aus dem Wohnzimmer verschwanden. Da war natürlich noch er, der frühere er, den sie einmal, da war sie sich ziemlich sicher, wirklich geliebt hatte. Nach diesem Zeitpunkt hatten sie noch vier Jahre als Paar verbracht, bei Spieleabenden, »Einladungen«, viel Wein, auch gerne allein, denn sonst war dieses »wir« nicht auszuhalten. »Vor zehn Jahren,« dachte sie, kurz bevor sie ihn ansprach, »dachte ich, die Welt sei scheiße. Heute weiß ich es.«

  • 3. Die Bühne

    Sie gingen nach vorne, an den Rand der Bühne. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Hauptact des häutigen Abends seine Zugabe spielen würde, denn der Saal war noch gut gefüllt, und er liebte es, nach einer halben Stunde nur noch für zwanzig oder dreißig Leute noch einmal die Akkustikgitarre aus dem Koffer zu nehmen. Sie unterhielten sich darüber, warum Berliner nach Hamburg auf ein Konzert fahren (»Stimmung.« — »Bier.«), diskutierten über die Verkanntheit Jim Kerrys und den Sinn des Theaters und lachten über seine spontanen Wortwitze (»Ich befürchte, dass durch das Abschmelzen der Pole mein Kompass nicht mehr richtig funktioniert.«). Nicht. Sie standen einfach nur da, schauten in Richtung Bühne und zwischendurch sich wechselseitig an. Und dann doch der Anfang einer Kommunikation, allerdings auf unterster Ebene, denn sie bestand nur aus einem zeigen auf die leere Flasche (er) und einem Nicken (sie).

  • 2. Seine Geschichte

    Sie, die alte sie, hatte ihn gestern verlassen. »Immerhin mit Stil«, dachte er sich, als er ihre Karte an einen offensichtlich Sozialpädagogik studierenden Mitzwanziger verschenkte. Sie hatte ihn ausgeführt, in das Restaurant, in das sie seit sieben Jahren jedes Mal am 5. Juli gegangen waren, dem Datum, dass sie als ihren Tag bezeichnete. Aber gestern war nicht ihr Tag, und das hieß Veränderung, weshalb er sich auch schon den Tag über den Kopf zerbrach, um was es denn ging. War sie so modern, ihm einen Heiratsantrag zu machen? War er bereit, Kinder zu kriegen? War irgendwas mit ihrem Job? Zumindestens letzteres, so musste er sich nun eingestehen, war so falsch nicht. »Dieses Schlechte-Film-Ding zieht sich durch ihr Leben. Erst schlafen mit dem Chef (Karrierechancen), dann Trennung im Restaurant (keine Szene).« Selbst ihre Sachen hatte sie in der Zwischenzeit von einer Freundin abholen lassen.

  • 1. Eine Frage

    »Und jetzt?« Sie hatte mit dieser Frage gerechnet, schon seit vier flaschen Astra. Doch sie wusste keine Antwort. Was wusste sie überhaupt? Nur, dass sie zurück nach Berlin wollte. Und raus aus ihrem Leben. Dem alten. Dem mit dem alten alten Job, den alten Freunden und dem alten er. Aber war er, der neue er, als Abschlusspunkt nicht auch Teil dieser alten Version? Sie mochte ihn, auch wenn sie kaum Worte gewechselt hatten, bis sie, nach den Astras, aus dem Club gekehrt wurden. Mochte er sie?

Er steckte ihr seine Visitenkarte in die Hand. »Ruf mich an. Bitte.« sagte er. Und ergänzte: »In zwei, drei Monaten.«

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5 Kommentare

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  • Schür (Team) am 24.11.2006  #1

    Großartig. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung!

  • Karsten am 26.11.2006  #2

    … leider erst in zwei, drei Monaten, Schür. (I’ll stay tuned, too)

  • Matze am 04.01.2008  #3

    wo bleibt die fortsetzung? mitlerweile sind…. äh….13 1/2 Monate vergangen… oder kommt keine mehr?… oder find ich sie nicht?

  • einbecker (Autor) am 04.01.2008  #4

    Ich fühle mich ertappt, unter Druck gesetzt und gelobe Besserung. (Arbeitest Du eigentlich grade unser gesamtes Archiv durch? ;-) )

  • Schuer (Team) am 08.02.2008  #5

    Warum war Astra bisher eigentlich nicht unter den Top of the Pops?
    Jetzt isses.

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