Sanitäter: Birne hohl

von einbecker

Ich bin ja durchaus ein Freund des Exzesses. Kann man nachlesen, in der Hommage (die übrigens aus genau drei Gründen gekauft gehört: wegen dieses ganz und gar großartigen Konzeptes (Verrisse können die andern! Wobei — Schwestermagazin?), weil der Herr Wiesengrund ja grundsätzlich tolle Sachen macht, und, wichtigstens: weil ich da drin stehe.). Der Exzess, so weiß es nur jemand, der den Exzess auch wirklich schon häufiger erlebt hat, braucht keinen Anlass, aber doch manchmal einen Anstoß, und hier kommt, ja, ich muss es zugeben, des öfteren C2H5OH (älteren Lesern auch bekannt als Weingeist) ins Spiel. Dieses Teufelszeug hat allerdings nicht nur diese löbliche Wirkung, die Herren auf die Tanzfläche, Damen auf Tische und vorher fremde, gegenseitige Münder an- und ineinander treibt, nein, falsch angewandt bewirkt sie tatsächlich das Gegenteil.

Lethargie kommt auf, das Leben besteht nur noch aus dem Lauf nach Stoff, und wie jede Sucht führt sie in eine Spirale, aus der man nur schwer herauskommt. 4,3 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholkrank, 5 Millionen gefährdet. 40000 Menschen starben 2005 an den Folgen ihres Alkoholkonsums. (Wikipedia: Alkoholkrankheit)

  • 5. Im Supermarkt

    Vor ein paar Tagen betrat ich gegen halb neun den Sparmarkt meines Vertrauens (das allein darauf basiert, dass er a) der zweitnaheste Supermarkt ist und b) er vor dem Biomarkt öffnet), um mir mein Frühstück (0,75 Liter Buttermilch, Geschmack: Zitrone) und eine tageszeitung zu kaufen. Vor mir auf dem Band: 8 Flaschen Sternburg Export, 1 Butter, 1 Dose Pfirsiche, 2 Brötchen. Die Kassiererin begrüßt »Heinz« und gratuliert ihm zu seinem Entschluss, heute »einmal Vitamine« zu kaufen. Heinz ist jeden Tag hier, Pünktlich um halb neun, mit Trainingshose (grau) und Urinfleck (gelb).

  • 4. In der Bahn

    Tourette war mein erster Gedanke, als ich an die Tramhaltestelle kam und sah, wie ein 40jähriger Schimpfwörter vor sich her redete. Er humpelte, die Gliedmaßen waren etwas anders gehalten, als man es vielleicht erwarten würde. Behindert? Körperlich jedenfalls, wie ich dann feststellen durfte, als die Bahn kam. Geistig? Auf jeden Fall volltrunken, das sagten nicht nur fünf leere Flaschen in seinem Rucksack, sondern auch der beißende Geruch, den er mir und den anderen ins Gesicht bließ. Ich werde es nicht herausfinden — ich bin mit der Mutter des Kindes, das er dann packte und schüttelte, aus der Bahn gestiegen.

  • 3. Im Park

    Sie sitzen dort. Drei bis zehn ältere Herren, von Mitte Dreißig bis Sechszig aufwärts, dazu noch des öfteren ein paar Damen aus der gleichen demographischen Gruppe. Im Winter, im Herbst, Im Frühjahr und im Sommer, aber da fallen sie nicht auf, weil dann auch andere dort sitzen. Sonne, Regen (nicht zu fest): Egal. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Und zu dieser passend: schlechtes Bier. Und schlechte Haut. Die Adern sind schon vor zehn Jahren geplatzt, es gibt offene Stellen, die Körper sind aufgedunsen. Bier hat viele Kalorien, und viel Bier hat mehr. Es wird sich unterhalten, gerne laut, ja: schreiend, auch wenn sie in ihrer eigenen Sprache sprechen — dieses lallende etwas verstehen wir nicht mehr. Oder doch, manchmal, da versteht man sie: beim Vietnamesen (es ist warm, das Bier kostet nur wenig mehr als im Laden), dann, wenn sie darüber sprechen, dass ihnen diese Ausländer ja alle Jobs genommen haben. Da muss man ja trinken.

  • 2. Auf dem Spielplatz

    Opa passt auf die kleinen auf. Opa sitzt sonst zehn Meter weiter mit seinen Freunden auf der Bank im Park, aber heute hat sich Opa zusammengerissen. Auch auf dem Spielplatz gibt es eine Bank, und da Opa Bänke so gut kennt und durchaus auch bequem findet, setzt er sich hin, während die Kleinen im Sand spielen. Neben ihm sitzt ein junger Vater, arbeitslos, an den Füßen Technostiefel aus den 90er Jahren und die Haut deutlich zu braun für die Jahreszeit. Opa fragt ihn, ob er einen Schluck Mixery probieren kann. »Nimm die Flasche. Ich habe noch sechs dabei.« Die Kirchenuhr, trohnend über Park und Spielplatz, schlägt Zehn.

  • 1. In der Mitte der Gesellschaft

    Er wartet überall. Wir sollten uns nicht besser fühlen als die Menschen, die ich hier aufgezählt habe. Vielleicht haben sie viel durch-, ganz sicher sehr viel falsch gemacht.

Ich habe keinen Anlass, warum ich diese Zeilen schreibe. Ich habe nicht vor, meinen Alkoholkonsum in nächster Zeit zu ändern, ich habe niemanden Auffälliges in meiner Umgebung beobachtet.

Und doch meine ich, wir sollten uns einmal sehr genau beobachten: Warum nach dem Sport? Wenn die Freunde da sind? Konzert?

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6 Kommentare

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  • joerg am 24.01.2007  #1

    Sehr sehr guter Beitrag, danke. (Nein, ich bin auch nicht close to the edge, hoff ich wenigstens, aber das ist man halt schneller als mans merkt, wenn man nicht bisschen auf sich aufpasst. Ein ernsthalftes Alkoholproblem zu entwickeln würde ich auf jeden Fall in die Top5 der gröbsten Scheiße, die man sich selber antun kann zählen.)

  • Lena am 28.01.2007  #2

    Lieber Tobi,
    mal wieder ein guter Beitrag zu einem großen Problem unserer Gesellschaft. Leider fällt mir sowas auch immer öfter auf… Bleibt die Frage nach den Ursachen. Weniger Jobs? Zuviel Erfolgsdruck? Auseinanderbrechen der Familien? Schwierige Frage.. Und natürlich, helfen?

    Ein lieber Gruss aus dem verschneiten M ins hoffentlich nicht ganz so kalte D,

    Die Lena

  • binh am 03.02.2007  #3

    Haha… Ich musste gut lachen bei HEINZ. :) Müsste mal öfters wieder hier vorbeischauen.

  • Konstantin am 03.02.2007  #4

    Zitat aus einer Fernsehsendung, letzte Woche glaube ich, es ging gar nicht so sehr um Alkohol, sondern um Ernaehrung, gute bzw. schlechte. Frage an einen pub landlord, Anfang 30 der Mann, zum Thema trinken waehrend der Schicht, im pub:

    “So how much did you drink last night?”
    “Three bottles of red, two pints of lager, a couple of tequilas. A lot.”

    Und der Herr hatte, nach eigener Aussage, ausser Stress im job nichts durchzumachen. Ist eben so. Ist eben so?

  • einbecker (Autor) am 04.02.2007  #5

    Kneipiers sind ja eine ganz spezielle Zielgruppe. Besonders, wenn sie viel mit Stammkundschaft zu tun haben, wird es ganz schwer, sich dem zu entziehen.

  • Stephan Janosch am 25.03.2007  #6

    Gut geschrieben!

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